Erwerbungsgeschichte

Rollenporträt von Tilla Durieux als Zarin in Rasputin von Alexej Tolstoi, in der Inszenierung von Erwin Piscator im Theater am Nollendorfplatz (Piscator-Bühne), 1927

Mit der Gründung der Deutschen Akademie der Künste im Ostteil Berlins beginnt auch die Geschichte des Archivs Darstellende Kunst. 1950 wurde die „Abteilung für deutsche Theatergeschichte“ unter der Federführung des Kritikers und Mitglieds Herbert Ihering eingerichtet. Zahlreiche Theatersammlungen, die sich im damals zerstörten Berlin auffanden, konnten so gesichert werden. Mit dem aus dem Exil in Shanghai zurückgekehrten Schauspieler, Regisseur und Theaterhistoriker Alfred Dreifuß begann 1956 die Sammlung von personenbezogenen Beständen. 1960 wurde, mit der Übernahme des künstlerischen Nachlasses des Kritikers Alfred Kerr, der erste Theaterbestand in der Akademie der Künste (West) übernommen. Beide Akademien sammelten seither systematisch Werke und Lebensdokumente von Künstlerinnen und Künstlern, die durch das Regime des Nationalsozialismus verfolgt, gedemütigt oder ermordet worden sind. Eines der prominentesten Beispiele ist das Archiv des Jüdischen Kulturbundes als Teil des Fritz-Wisten-Archivs.

Theatrum Mundi, Theaterzettel des Königsberger Stadttheaters, 1921/22

Beide Theaterabteilungen übernahmen ab den 1960er Jahren auch Archive der jeweiligen Akademie-Mitglieder: Gret Palucca, Wolfgang Langhoff, Mary Wigman, Walter Felsenstein, Maria Wimmer und Heinz Hilpert  neben vielen anderen. Die Archive von Künstlerinnen und Künstlern werden ergänzt durch Bestände von Sammlern, die wertvolles und unverzichtbares Material zusammengetragen haben, z.B. Wilhelm Richter mit seiner gebundenen Sammlung von Berliner Besetzungszetteln und Kritiken aus den Jahren 1905 bis 1932 sowie Franz Gauker, der die Bremer Intendanz Kurt Hübners umfangreich dokumentierte und damit die „Geburt“ des Regietheaters erfasste.

In Einzelfällen werden Institutionenarchive erworben, die meist in engem Zusammenhang mit bereits vorhandenen Personenarchiven stehen und diese ersetzen oder ergänzen, wie z.B. das Archiv des Tanztheaters der Komischen Oper (Tom Schilling), das Archiv der Freien Volksbühne (Kurt Hübner, Peter Zadek, Hans Neuenfels), das Archiv der Berliner Schaubühne (Peter Stein, Moidele Bickel, Jutta Lampe) oder das Archiv der Volksbühne Berlin (Frank Castorf, Bert Neumann, Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, Herbert Fritsch).

Walter Felsenstein und Ursula Reinhardt-Kiss (Susanna) während einer Probe zu Die Hochzeit des Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart, Komische Oper Berlin, 1975

Die Erwerbungsgeschichte eines Theaterarchivs wäre nicht vollständig, wenn sie keinen Ausblick bieten würde. Schließlich ist die Theaterlandschaft wie nie zuvor in einem Wandel begriffen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Genres Sprechtheater, Oper, Tanz, Kabarett, Figurentheater, Laientheater, Kinder- und Jugendtheater lösen sich auf, und auch zu den anderen Künsten verschwinden sie zusehends. Die Vielzahl der Materialarten wird in jüngster Zeit auch durch digitale Überlieferungen ergänzt. Deren Bewahrung ist eine lohnende Aufgabe für ein Theaterarchiv des 21. Jahrhunderts.