18.4.2018, 09 Uhr

„Yoko Ono des Balkans": Die ungarische Dichterin und Performerin Katalin Ladik

Angela Lammert hat zusammen mit David Crowley und Daniel Muzyczuk die Ausstellung „Notes from the Underground – Art and Alternative Music in Eastern Europe 1968–1994" kuratiert. Im Interview spricht sie über die berühmte ungarische Dichterin und Performerin Katalin Ladik, deren Collage-Notationen und die Bedeutung von „Underground".

Am 20.4.2018 wird Katalin Ladik in der Akademie der Künste eine ihrer beeindruckenden Soloperformances zeigen. Anschließend werden Konzepte und grafische Partituren der osteuropäischen Undergroundkünstler rekonstruiert und neu interpretiert. Die Werke von Jan Ságl und Milan Knížák werden vom Landesjugendensemble Neue Musik Berlin, Natalia Pschenitschnikowa und Claudius von Wrochem gespielt und gesungen.

 

Frau Lammert, wie würden Sie den Begriff Underground fassen, der titelgebend für die Ausstellung „Notes from the Underground – Art and Alternative Music in Eastern Europe 1968–1994" ist?

Wir wollen in der Berliner Ausstellung skizzieren, dass „Underground" im historischen Verlauf und in den jeweiligen osteuropäischen Ländern unterschiedlich verstanden wurde und der Begriff auch in der Rückschau nicht zu verallgemeinern ist.

Die Ausstellung, die bereits im polnischen Łódź zu sehen war, wurde in Berlin u.a. durch Katalin Ladiks Collage-Notationen erweitert? Warum?

Die Ausstellung thematisiert das Thema Underground an der Schnittstelle zwischen Musik und Bildende Kunst. Dafür sind visuelle Partituren exemplarisch. Zu ihnen gehören Ladiks Collage-Notationen. Sie dienen als eine Art Bildführer und Muster für ihre in situ aufgeführten Körper- und Stimmperformances Phonopoetica (Video, 1976) und zeugen von der Suche nach einer Bildsprache, die das Visuelle mit dem Akustischen im Prozessualen verbindet. Mit „Bildern" aus Schnittmustern, Gebrauchsanweisungen, Notenlinien und fotografischem Material aus Frauenmagazinen schafft sie einen surrealen und ironischen Assoziationsraum zwischen Sprache, Klang und weiblichen Klischees. Gleichzeitig bergen sie das Potential der Improvisation und damit der nicht im vorab staatlich zu regulierenden künstlerischen Arbeit.

Sie haben Katalin Ladik eingeladen, im Rahmen des Begleitprogramms zu „Underground + Improvisation" aufzutreten. Was wird das Publikum an diesem Abend erwarten?

Für die während der Berliner Ausstellung geplante Multimedia-Performance wird Ladik drei dieser Collage-Notationen (Green Sleeve, B vor, Still Life with Fishes) akustisch neu umsetzen und zusätzlich mit einer 32 Meter langen roten und bestickten Textilnotation arbeiten. Die starke Farbigkeit unterscheidet ihre Arbeiten von westeuropäischen grafischen Partituren – denkt man an die von John Cage und Alison Knowles 1969 herausgegebene Sammlung notations. In ihrer Arbeit Sunset (1975) gibt der monochrome kobaltblaue Grund eine kreisrunde Note zwischen zwei Notenlinien frei, collagiert aus den Fragmenten eines Schnittmusterbogens mit roten und grünen Linien. Einzeln aufgeklebte Buchstaben – CCEEEECPPP – akzentuieren rhythmisch das grafische Material. Der Titel Sonnenuntergang legt einen poetischen und zugleich subversiven Schleier darüber. Notation kann nicht allein als Vorlage oder Ursprung für eine Wiederaufführung, sondern als Visualisierung eines Denkvorgangs verstanden werden – als Formfindungsprozess. Der humorvoll gemeinte Titel einer Rezension – „Strickenlernen beim Notenlesen" – bagatellisiert die Sprengkraft, die in Ladiks Bewegungen zwischen den Medien und im Verhältnis zum staatlich Geforderten und Gewünschten lag.

Insofern gelang es Katalin Ladik, sich in einer Grauzone zwischen Staat und Underground zu bewegen?

Das Wort „Underground" benutzt sie selbst nicht und wurde auch im Unterschied zu Ungarn im ehemaligen Jugoslawien nicht verwendet. Sie hat ihre eigene künstlerische Praxis eher unter dem Begriff „marginal art" (Randkunst) bezeichnet. „Anderssein", „Übergang", „Bewegung", „Einatmung" – das sind die zentralen künstlerischen Kategorien von Katalin Ladik. Aber ihre verkörperten Manifestationen der Sprache und ihr kraftvoller, vital-erotischer Gestus entwickelten nicht nur eine enorme ästhetische Ausstrahlung, sondern auch eine subversive politische Wirkung in Jugoslawien.

1975, als Sunset entstand, wurde die „Yoko Ono des Balkans" wegen „Sittenlosigkeit" aus dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens ausgeschlossen und paradoxerweise gleichzeitig zu einem Star im staatlichen Fernsehen. Sie wurde aber nicht wie die Mitglieder der Band The Plastic People of the Universe 1977 in der ehemaligen Tschechoslowakei verhaftet. „Underground" ist nicht identisch mit der Vorstellung von Gefängnis oder konspirativen Treffen.

Wie sah Ladiks Widerstand dann aus?

Ende der 1960er Jahre formulierte Ladik selbst: „Mein Schreiben ist angetrieben von Trotz. Einem Trotz gegenüber äußerem Druck. Wenn ich nicht in so schwierigen Umständen gelebt hätte und aus diesen nicht hätte ausbrechen müssen, wäre ich vielleicht träge und kleinbürgerlich geworden wie viele andere Poetinnen." Diese Haltung ist nicht zu trennen von ihrer feministischen Position – ihrer Inszenierung als nackt auftretende Poetin: „Natürlich wollte ich schockieren, aber aus Protest, weil sie mich vorher schon als Frau gedemütigt hatten."

Worin unterschied sich Jugoslawien von den anderen sozialistischen Staaten?

Der Vielvölkerstaat Jugoslawien öffnete sich frühzeitig dem Westen und nahm als Teil der Bewegung der Blockfreien Staaten eine Sonderstellung ein. Das Land galt als der Westen des Ostens, Reisen aus der DDR dorthin waren kaum möglich. Die Dichterin Katalin Ladik lebte in der Vojvodina, ihre Performances entfalteten die Schockwirkung zum einen aus ihrer ungarischen Minderheitensprache und zum anderen aus dem Gebrauch der Sexualität als Mittel, sich in den Kosmos der Pop-Kultur zu katapultieren, übliche feministische Codes zu unterlaufen und gleichzeitig aus der Marginalität der Neoavantgarden auszubrechen. Das geschah parallel zu westeuropäischen Experimenten der 1970er Jahre.

Angela Lammert leitet den Bereich interdisziplinäre Sonderprojekte der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste.

Interview: Akademie der Künste