6.7.2018, 16 Uhr

Ulrich Gregor zum Tod Claude Lanzmanns

Der französische Dokumentarist und Autor Claude Lanzmann, Mitglied der Akademie der Künste seit 1998, ist am 5. Juli 2018 mit 92 Jahren in Paris gestorben.

Geboren 1925 in Bois-Colombes, erlebte Lanzmann als Kind den aufkommenden Antisemitismus. Noch als Schüler schloss er sich einer Widerstandsgruppe an. Er studierte nach dem Krieg in Tübingen Philosophie. 1973 realisierte er seinen ersten Film, Pourquoi Israël. Zwölf Jahre lang arbeitete er an dem Film Shoah, der zu einem Meilenstein wurde und Grundlagen zum filmischen Umgang mit dem Holocaust schuf. Der neuneinhalbstündige Dokumentarfilm, der ausschließlich auf Berichten von Zeitzeugen basiert, lief 1986 im Programm des Forums der Berlinale.

Dazu Akademie-Mitglied Ulrich Gregor, der seinerzeit das Forum leitete:

„Es war die erste Aufführung des Films in Deutschland. Alle, nicht zuletzt Claude Lanzmann, waren sehr aufgeregt, wie der Film aufgenommen werden würde. Im Delphi-Kino herrschte nach dem Film zunächst atemloses Schweigen. Zum Glück stellte Jeanine Meerapfel die erste gut formulierte Frage aus dem Publikum. Es gab dann ein lange anhaltendes Gespräch. Der Schriftsteller Stan Nadolny schrieb anschließend einen Brief an Claude Lanzmann, in dem er den ungeheuren Eindruck formulierte, den der Film hinterließ und immer noch hinterlässt.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Claude Lanzmanns Shoah ein Film ohne Parallelen ist. Es gibt kein eindringlicheres, tiefer gehendes Werk der Kinematographie zum Thema Holocaust als eben diesen Film. Wer Shoah gesehen hat, wird den Film sein Leben lang nicht vergessen, viele seiner Szenen, seiner Bilder sind Ikonen der Erinnerung und der Formulierung des Unaussprechlichen, des nicht Darstellbaren. Shoah ist ein Meilenstein, ein Monument der Erinnerungsarbeit, aber auch ein filmisches Meisterwerk singulärer Kraft und einzigartiger Gestaltung. Claude Lanzmanns filmische Praxis in diesem und anderen seiner Filme wird für immer ein Vorbild für alle Dokumentaristen bleiben. Seine Leistung, ein Kapitel der Geschichte unentrinnbar zu beschwören und zu vergegenwärtigen, ohne ein einziges Mal ein historisches Dokument oder Foto zu zitieren, eine Rekonstruktion zu verwenden, bleibt in der Konsequenz dieser Methode einmalig."

Über seine Filme hinaus haben wir Claude Lanzmann als einen Freund kennengelernt, als einen warmherzigen und zugewandten Menschen. Er war ein guter Erzähler und exzellenter Fragesteller, aber nicht nur das, er konnte auch anderen zuhören.

Die Nachricht von seinem Tod hat uns tief getroffen."