7.11.2018, 17 Uhr

„Der Jüdische Kulturbund hat mit sofortiger Wirkung seine Tätigkeit wieder aufzunehmen." – Der 9. November 1938 und seine Folgen

Zeichnung von Horst Moratz zu Fritz Wistens Inszenierung von Merton Hodges' Regen und Wind 1938 im Theater des Jüdischen Kulturbundes

Am Mittwoch, den 2. November 1938 hatte das Erfolgsstück Regen und Wind von Merton Hodge in der Bühnenbearbeitung von Detlef Sierck im Theater des Jüdischen Kulturbundes Berlin in der Kommandantenstraße 58 in Berlin-Kreuzberg Premiere. Regie führte der erfolgreiche Schauspieler und Regisseur Fritz Wisten, die Bühnenbilder stammten von Hans Sondheimer. In den Kritiken ist zu lesen, dass das Stück zwar freundlich-harmlos sei, aber die auftretenden Schauspieler großartig – ein Schauspielerstück also.

Der Jüdische Kulturbund war eine 1933 von jüdischen Initiatoren gegründete Selbsthilfeorganisation für jüdische Künstler, die aufgrund von Berufsverboten und Entlassungen nicht mehr künstlerisch tätig sein konnten. In seiner erfolgreichsten Zeit unterhielt der Jüdische Kulturbund an mehreren Orten Theater mit entsprechenden Ensembles und Orchester nach dem Vorbild der damals zerschlagenen Volksbühnenorganisationen.

Am 7. November erschoss der 17jährige Herschel Grynszpan in der deutschen Botschaft in Paris den Legationsrat Eduard von Rath. Am 9. November fegte ein von dem nationalsozialistischen Regime organisierter Mob durch Deutschland, zerstörte und plünderte jüdische Geschäfte, zündete Synagogen an und überfiel Mitbürger jüdischen Glaubens in ihren Wohnungen. Sämtlichen jüdischen Organisationen wurde ihre Tätigkeit untersagt. Juden wurde der Besuch von Kultur- und Vergnügungsstätten verboten. Insgesamt starben ungefähr 400 Menschen und 1.400 jüdische religiöse Einrichtungen wurden zerstört.

Damit war, so schien es, auch das gettoisierte Kulturleben des jüdischen Kulturbundes an sein Ende gekommen. Selbst diejenigen, die bisher noch nicht an Auswanderung dachten, bemühten sich jetzt um eine Einreisegenehmigung in sichere Drittländer. Aufgrund der ausländischen Reaktionen, vor allem aus den USA, sah sich die deutsche Regierung aber gezwungen, den Anschein der „Normalität“ zu wahren. Der Jüdische Kulturbund wurde aufgefordert, sein Theater wieder zu öffnen. Auf den Einwand hin, dass die betreffenden Schauspieler und das Personal inzwischen in Konzentrationslagern inhaftiert seien, wurden diese wieder freigelassen.

Am 22. November um 20.14 Uhr öffnete sich der Vorhang zur 6. Vorstellung des Studentenspiels Regen und Wind. Nur wenige Zuschauer waren gekommen, die Vorstellung dauerte ein wenig kürzer als die Premiere, die Anweisung der deutschen Aufsichtsbehörden war jedoch damit erfüllt. Eine Seite aus dem Inspizientenbuch dokumentiert diese Vorstellung, die ohne besondere Vorkommnisse ablief. Das Stück wurde bis zum 1. Dezember 15 Mal aufgeführt.

Die nächste Premiere war Benjamin, wohin?, ein Stück des jüdischen Kritikers und Schriftstellers Hermann Sinsheimer, dessen Proben am 9. November durch die deutschen Behörden abgebrochen worden waren. Am 3. Mai 1941 fand als letzte Veranstaltung des Jüdischen Kulturbundes, eine „musikalische Stunde“, statt. Der Jüdische Kulturbund wurde am 11. September 1941 „liquidiert“, wie das im Behördenjargon hieß.

Ansprechpartner: Stephan Dörschel

Seite vom 22. November 1938 aus dem Inspizientenbuch des Jüdischen Kulturbundes, Wiederaufnahme der Tätigkeit nach dem Novemberprogrom