1999

Mark Lammert

Mark Lammert ist Maler, Zeichner und Grafiker. Seit den 1980er Jahren führt er Skizzenbücher, die sein breitgefächertes Werk begleiten, in dem er Fragen zu Farbe, Gestalt sowie zu Tages- und Weltgeschehnissen in Text und Bild thematisiert. 1993 realisiert er seinen ersten Bühnenraum für Heiner Müllers Duell Traktor Fatzer am Berliner Ensemble. Seine oftmals seriell angelegten Bilder scheinen sich über die materielle Begrenzung des Bildträgers hinaus ins Unendliche fortzusetzen. Maltechnisch konzentriert sich Lammert auf das Schichten von historischen und aktuellen Farbtönen und -atmosphären. Als Zeichner verdichtet er Chiffren aus Figur und Landschaft in Kohle, Grafit, Farbstift und Öl auf handgeschöpftem Bütten.

Textbeiträge zur Preisverleihung

„Mit den Mitteln seiner Kunst hat der 39-Jährige eine zugleich konzeptuell bestimmte wie sinnlich eindringliche Sprache entwickelt, deren wichtigste Ausdrucksform heute die Verknappung zum Elementaren hin ist.“ (Auszug Begründung)

Die Jury hat den Käthe-Kollwitz-Preis 1999 der Akademie der Künste an Mark Lammert für sein bisheriges Werk verliehen.

Die grafischen und malerischen Arbeiten des in Berlin lebenden Künstlers reflektieren seine Auseinandersetzung mit den Ereignissen täglicher Geschichte, der er durch seine intensive Beschäftigung mit Werken der Literatur und Philosophie eine besondere Kraft zu geben vermag. Mit den Mitteln seiner Kunst hat der 39-Jährige eine zugleich konzeptuell bestimmte wie sinnlich eindringliche Sprache entwickelt, deren wichtigste Ausdrucksform heute die Verknappung zum Elementaren hin ist. Gleichwohl hat er die Figur nicht verlassen, sie wurde Gegenstand vielfältiger und vielschichtiger Fragmentierungen. Lammerts Weg dorthin war folgerichtig, er beglaubigt das jetzige Werk.

In den Ausstellungen der mittachtziger Jahre, als das Klima sich fühlbar erhitzte, trat er mit Figurenbildern auf, die vordergründig aktuelle Schmerzmetaphern vermieden und sich dafür eines kulturellen Umfeldes versicherten, das sich an historischer Erfahrung maß. Seine Künstler- und Intellektuellenporträts, frühe bildnerische Proteste gegen die Geschichtslosigkeit, ließen ihn näher bei den Antipoden Hermlin und Heiner Müller stehen als bei vielen seiner Generationsgefährten. Es ging um Figur und Figürlichkeit, nicht im Fokus ideologischer Realismusforderungen, sondern auf der Suche nach einer Kunst- und Lebenserfahrung, die das Ästhetische autonom hält und es doch mit den Visionen und Niederlagen des Jahrhunderts verbindet. Dieses Substrat seiner Arbeit hat Mark Lammert zu bewahren und zu vertiefen gewusst, als er die kontinuierlichen Bildräume und Beschreibungsmodi aufgab zugunsten einer sensitiven Analyse körperlicher Befunde, die ihre beschreibbare Individualität zunehmend verloren. Jedoch: Die Spuren des Gewachsenen versehen seine Bildfindungen mit einer anderen, der paradoxen Individualität des All-Gemeinen. Lammert hat Tod, Leid und Verwundung in eine Ästhetik der Verletzbarkeit getrieben, die nie frivol ist, wohl aber mitunter hart an der Grenze operiert, wo der Archetypus des Schönen im Zirkelschluss seiner Jetzt-Endlichkeit aufgehoben wird. Auf diesem nicht sicheren Grad siedeln die Symbole; die Möglichkeit des Absturzes bleibt bedrängend kenntlich; Lammert hat gar den Mut, sie zum Thema zu machen. Er zieht sich nicht zurück in schwärende Larmoyanz, sondern er bleibt kalt in der Methode, die Farbtemperatur seiner rostroten Fleisch- und Blutgebilde ist genauestens bestimmt, jede Nuance einer analytischen Betrachtung abgewonnen.

In Folgen und Zyklen umkreist Mark Lammert, der längere Zeit mit Heiner Müller zusammengearbeitet und auch einige Bühnenräume für Inszenierungen von dessen Stücken geschaffen hat, solcherart das Thema der menschlichen Existenz im Zusammenhang ihrer naturhaften und sozialen Bestimmungen. Das Verfahren, wenn man es in der Art der Hervorbringung der Bilder vergleichen will, ist eher lyrisch als dramatisch, und es steht im eigentlichen Celan näher als Müller, weil es auf die reine Wirklichkeit des geistigen Ausdrucks zurückgreift. Und zugleich eine eigene Wirklichkeit schafft.

Mark Lammert fasst die Figur deshalb nicht abbildhaft, sondern in der Materialität des Werkes selbst. Sie kann zugleich entstehen wie verschwinden, kann fleischlich sein oder Skelett, Wunde oder ephemeres Wesen. In allem ist sie zugleich Bild und polyvalentes Zeichen.

Lammerts stets konzentrierte und im ersten Augenschein hermetisch sich verhüllende Malereien, Zeichnungen und Druckgrafiken beziehen sich auf Gegenstände des Erinnerns ebenso wie auf solche der Beobachtung. Brücke zwischen beidem ist eine eminente Lektüre, derer sich Lammert durch schreibendes Eindringen vergewissert. Die so entstehenden Bücher, in der Methode mönchischen Handschriften der Textübermittlung vergleichbar, sind Konvolute von hoher kalligrafisch-bildhafter Assoziationsdichte. Er begründet sie mit Walter Benjamin: „Die Kraft der Landstraße ist eine andere, ob einer sie geht oder im Aeroplan darüber hinfliegt. So ist auch die Kraft eines Textes eine andere, ob ihn einer liest oder abschreibt. Wer fliegt, sieht nur, wie sich die Straße durch die Landschaft schiebt [...] Nur wer die Straße geht, erfährt von ihrer Herrschaft und wie aus eben jedem Gelände, das für den Flieger nur die aufgerollte Ebene ist, sie Fernen, Belvederes, Lichtungen, Prospekte mit jeder ihrer Windungen so herauskommandiert, wie der Ruf des Befehlshabers Soldaten aus einer Front. So kommandiert allein der abgeschriebene Text die Seele dessen, der mit ihm beschäftigt ist, während der bloße Leser die neuen Ansichten seines Innern nie kennenlernt, wie der Text, jede Straßen durch den immer wieder sich verdichtenden inneren Urwald, sie bahnt: weil der Leser der Bewegung seines Ich im freien Luftbereich der Träumerei gehorcht, der Abschreiber aber sie kommandieren lässt.“
Lammerts Wanderung im Werk führt an den Quellen der Vergewisserung des Seins durch Kunst entlang. Er weiß um die Widersprüche zum Gegenwärtigen. Er hält sie aus.

Matthias Flügge

Der Jury gehörten an: Matthias Flügge, Hermann Pitz und Micha Ullman

Laudatio (Transkription des Tonmitschnitts), vorgetragen von Matthias Flügge anlässlich der Preisverleihung am 20. März 1999:

Die Jury des Käthe-Kollwitz-Preises 1999 – ihr gehörten an Micha Ullman, Hermann Pitz und ich – hat den Käthe-Kollwitz-Preis der Akademie der Künste an Mark Lammert für sein bisheriges Werk verliehen. Mark Lammert lebt in Berlin und zwar seit seiner Geburt, das heißt seit 39 Jahren. Er hat hier in dieser Stadt in Weißensee studiert und er war an der Akademie der Künste Meisterschüler bei Werner Stötzer. Es ist also ein, wie soll man sagen, ein unauffälliger, sesshafter Lebenslauf, in dem der Kollwitz-Preis der Akademie gleichsam eine folgerichtige Station sein könnte, wenn dieser Schein nicht trügte, und wir feststellen müssten, dass derartige Unauffälligkeiten, das eigentlich Auffällige einer heutigen Künstlerexistenz sind.

Im Nomadischen, Nicht-Sesshaften, Kampagnenmäßigen erfüllt sich das Vorstellungsbild des Künstlers, die Gegenentwürfe kontinuierlichen Tuns und Entwickelns sind seltener geworden. Aber das allein besagt noch nicht viel. Wenn wir auf die Liste der bisherigen Käthe-Kollwitz-Preisträger schauen – dieser Käthe-Kollwitz-Preis wurde in Mark Lammerts Geburtsjahr zum ersten Mal vergeben – so werden wir, von wenigen Ausnahmen in früheren Jahren abgesehen, feststellen, dass es zwar unvereinbare Widersprüchlichkeiten im Formalen oder Stilistischen gibt, hinter diesen entfernt jedoch so etwas wie eine Verwandtschaft in der Haltung zur Kunst aufscheint. Keine Bange, ich will nun nicht den todzitierten Satz aus Kollwitz’ Tagebuch von den Zwecken und dem Wirken an die Wand schreiben, denn die Frage stellt sich ja heute grundsätzlicher. Sie stellt sich als Frage nach dem existenziellen, kulturellen und sozialen Daseinssinn von Kunst überhaupt. Viele mit dem Kollwitz-Preis ausgezeichneten Künstlerinnen und Künstler haben sehr unterschiedlich auf diese Frage reagiert, heißen sie nun Stötzer, Metzkes, Goltzsche, Butzmann, Böhme, Ullman, Kippenberger, Miriam Cahn oder Astrid Klein. Sie sehen anhand dieser Namen schon das Spektrum. Und mehr als das lässt sich über das Verbindende kaum sagen. Es ist genug, denn allein diese Namen verdeutlichen die besondere Qualität dieses Preises. Er würdigt Einzelleistungen. Und er wird kenntlich an den Spannungsfeldern der Positionen seiner Träger. Er löst sich durch die Zeit von seinem Namensgeber bzw. seiner Namensgeberin und bleibt dadurch doch in einer engen geistigen Verbindlichkeit. Gerade Linien allerdings lassen sich nicht ziehen.

Heute nun also Mark Lammert: Ein Maler, Zeichner, Radierer, Lithograph; ein ernster Ironiker mit zeitkritischer Ambition; ein Lesender, der das Gelesene schreibend vergewissert; ein Zurückgezogener, der im Wissen um Geschichte tätig ist und der die Geschichte der Kunst der Menschen zusammen sehen kann mit der ihrer Verbrechen. Und der daraus nicht Fluchtimpulse entwickelt, nicht Schönheit nur und auch nicht Ekel, sondern etwas Viertes, das sehr eigenständig ist und eine gegenwärtige Reflexion zum Maßstab hat. Es liegt in der Materialität der Werke selbst, im Aufspüren der äußersten Ermattungsreste der Urbilder. In ihrer vibrierenden Wiedererweckung mit Farbe oder Stift. Mark Lammerts Bilder der letzten Jahre, auch dann, wenn sie zuweilen durch Literatur aufgeladen werden, sind letztlich archaisierende Beschwörungen des Leibes. Dessen Konsistenz drückt das Bild seines Befindens zurück auf den Grund. Als Teil für das Ganze, als materialisiertes Licht, nicht zuletzt auch als Zeichen organoider Endlichkeit. Man kann wohl sagen, dass auf der inhaltlichen Ebene von Lammerts Daseins-Recherche der Kunst eine Untersuchung heutiger Möglichkeiten des Menschenbildes im Zentrum steht. Denn bei all seiner metaphorischen Verknappung zum Elementaren hin hat Mark Lammert die Figur recht eigentlich nicht verlassen. Sie bleibt als Ausgangspunkt der vielschichtigen und vielfältigen Fragmentierungen im Werk immer anwesend.

In Folgen und Zyklen umkreist der Künstler das Thema der menschlichen Existenz im Zusammenhang ihrer naturhaften und sozialen Bestimmungen. Das Verfahren, wenn man es in der Art der Hervorbringung der Bilder vergleichen will, ist eher lyrisch als dramatisch, weil es auf die reine Wirklichkeit des geistigen Ausdrucks zurückgreift und zugleich eine eigene Wirklichkeit schafft. Die Figur erfasst Mark Lammert deshalb nicht abbildhaft, sondern, wie gesagt, in der Materialität des Werkes selbst. Sie kann zugleich entstehen wie verschwinden, sie kann fleischlich sein oder Skelett, Wunde oder ephemeres Wesen. In allem ist sie zugleich Bild und polyvalentes Zeichen.

Lammerts stets konzentrierte und im ersten Augenschein hermetisch sich verhüllenden Malereien, Zeichnungen und Druckgrafiken beziehen sich auf Tatbestände des Erinnerns ebenso wie auf solche der Beobachtung. Er begann früh in den Ausstellungen der Mittachtziger Jahre. Als das Klima sich fühlbar erhitzte, trat er mit Figurenbildern auf, die vordergründig aktuelle Schmerzmetaphern vermieden und sich dafür eines kulturellen Umfeldes versicherten, das sich seinerseits an historischer Erfahrung bemaß. Lammerts Künstler- und Intellektuellenporträts, frühe bildnerische Proteste gegen die Geschichtslosigkeit, ließen ihn näher bei den Antipoden Hermlin und Heiner Müller stehen als bei vielen seiner Generationsgefährten. Es ging um Figur und Figürlichkeit, nicht im Fokus ideologischer Realismusforderungen, sondern auf der Suche nach einer Kunst- und Lebenserfahrung, die das Ästhetische autonom hält und es doch mit den Visionen und Niederlagen des Jahrhunderts zu verbinden verstand. Dieses Substrat seiner Arbeit hat Mark Lammert zu bewahren und zu vertiefen gewusst als er die kontinuierlichen Bildräume und Beschreibungsmodi aufgab zugunsten einer sensitiven Analyse körperlicher Befunde, die jedoch ihre beschreibbare Individualität alsbald gänzlich verloren. Die Spuren des Gewachsenen, ihrer Zuständlichkeit, versehen sie mit einer anderen, der paradoxen Individualität des Allgemeinen.

Lammert hat Tod, Leid und Verwundung in eine Ästhetik der Verletzbarkeit getrieben, die nie frivol ist, gewiss aber mitunter hart an der Grenze operiert, wo der Archetypus des Schönen im Zirkelschluss seiner Jetzt-Endlichkeit aufgehoben wird. Auf diesem, beileibe nicht sicherem Grad, siedeln die Symbole, die Möglichkeit des Absturzes bleibt kenntlich, Lammert hat den Mut sie zum Thema zu machen. Er zieht sich nicht zurück in schwerende Larmoyanz, sondern er bleibt kalt in der Methode. Jedes Grad der Farbtemperatur seiner rostroten Fleisch- und Blutgebilde ist genauestens bestimmt, jede Nuance einer analytischen Betrachtung abgewonnen. Überhaupt die Farbe: Ihre Erwähnung führt uns endlich zu den Bildern zurück, die uns hier umgeben und an denen das bisher Gesagte nur unvollständig zu überprüfen wäre.

Mark Lammert hat sich entschieden, nur drei Blöcke aus seinem letzten Werk zu zeigen. Drei Blöcke, unterschieden nach dem Material des Bildgrundes und dem Format – zweimal 40, einmal 49 Arbeiten. Ihre Titel sind so assoziationsträchtig wie möglicherweise auch austauschbar: Sie heißen Hüllen, Armbrust und Brustkorb. Es ließe sich nun, in meiner Rolle hier, über Körper, Behältnis, Waffe, Camouflage und ähnliches spekulieren, über die genannten Fragmente und über die Schönheit des Verfallens. Aber, was zuerst einmal vor uns steht, sind den Malprozess offenbarende Farbkörper unterschiedlicher Größe und Beschaffenheit. Die Formungen auf den kleinen Bildern – oberflächlich könnten Sie als Etüden missverstanden werden – sie treten als gestrichene, geglättete, aufgeraute, im Trocknungsprozess beeinflusste und in den hellen Grund gebundene Farbsubstanz ans Licht. Die gängigen Termini ihrer Beschreibung wollen nicht recht passen: Zwar gibt es Reliefs aus pastoser Materie, zwar verfügt der Maler über eine feinst nuancierte Palette, zwar bilden die Partikel eine Binnenstruktur, in die das Auge tief einzudringen vermag, aber letztlich ist die Delikatesse subversiv, denn die Ästhetisierungen, die im ersten Blick eine gewisse Abwehr, vielleicht gar Aggression erzeugen, beruhen auf einem perfekten Vorschein. Beim genaueren Hinsehen überwiegt dann doch der Eindruck einer biomorphen Verlorenheit. Die Ränder verlieren sich im Un-Weiß des Grundes, sie lösen sich, jegliche Kontur verweigernd, auf. Die Maß- und Lastverhältnisse auf den kleinen Tafeln scheinen verstört, die Farbkörper in ihrer vorgeblichen Schönheit scheinen aus den Formaten fliehen zu wollen und ihre Richtung bleibt unbestimmt. Und gerade deswegen ziehen sie den, der ihnen folgt, irgendwie doch in ihren Bann. So gesehen, wäre diese lange Reihe farbiger Setzung beides: Zum einen der Versuch, dem Amorphen des Materials eine Form des Lebendigen, eben jenen letzten Ermattungsrest des Ur-Bildes abzugewinnen, was letztlich als romantisches Verfahren kenntlich wird. Und zum anderen aber sind diese Bilder eine serielle Studie über die Malerei. Auf beiden Wegen greift Mark Lammert sehr zeitgenössische Probleme der Malerei auf, aber er löst sie nicht, wie andere Künstler, durch Untersuchungen von elektronischem Bildvokabular, sondern durch die genoiden Mittel der Malerei selbst. Es ist gerade diese Verschränkung der Ebenen heutigen künstlerischen Tuns und ihre historische Bewusstheit die Lammerts Werk beglaubigt und dies vor allem wach hält.

Lieber Mark, herzlichen Glückwunsch, und Ihnen danke ich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich möchte auch nicht versäumen, bevor es zum Eigentlich geht, allen Mitarbeitern des Hauses, die an dem Katalog und an der Ausstellung beteiligt waren, herzlichen Dank zu sagen.

Ansichten aus der Ausstellung

Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 1999

Installationsansicht: Käthe-Kollwitz-Preis 1999

Tonmitschnitte der Preisverleihung

Jurybegründung und Laudatio (Matthias Flügge)

Danksagung (Mark Lammert)